Erik Axl Sund: Krähenmädchen
KRÄHENMÄDCHEN von Erik Axl Sund ist in aufwühlender und engagierter Krimi, der nichts für schwache Nerven ist.
gelesen von Thomas M. Meinhardt
Als in einem Stockholmer Park ein schwer misshandelter Junge tot aufgefunden wird, ist das Entsetzen groß – wer so etwas tut, muss völlig krank sein! Kommissarin Jeanette Kihlberg folgt den Spuren zu einem Heim für Kinder, die als Flüchtlinge ohne Eltern nach Schweden gekommen sind. Da ihr Anhaltspunkte für die Suche nach dem Täter fehlen, bittet Jeanette die Psychologin Sofia Zetterlund um Hilfe. Sofia hat sich auf Menschen mit multiplen Persönlichkeiten spezialisiert. Nach anfänglichen Dissonanzen kommen sich die beiden Frauen etwas näher und versuchen heraus zu finden, welche zerstörende Persönlichkeit hinter diesen grauenvollen Taten steht. Und die Zeit drängt, denn der Junge ist nur der Erste in einer Reihe von Opfern…
Ja, “Krähenmädchen” ist schon harte Kost. Im Wettbewerb um die brutalsten Krimi-Morde rangiert das Autorenduo Jerker Eriksson und Håkan Axlander Sundquist alias Erik Axl Sund zweifellos ziemlich weit oben. Wie Stieg Larsons “Millenium” ist auch „Krähenmädchen” als Dreiteiler angelegt, die beiden Folgebände “Narbenkind” und “Schattenschrei” sind ab Herbst 2014 im Handel. Im Mittelpunkt der Story stehen zwei Frauen: die Polizistin Jeanette Kihlberg, die gerade mit ihrer Ehe baden geht, und die Psychologin Sofia Zetterlund, die scheinbar an sich selbst scheitert. Nach und nach entblättert sich in „Krähenmädchen” die desaströse Kindheit der Victoria Bergmann, die nicht nur eine Patientin von Sofia, sondern auch die Tochter einer der Hauptverdächtigen im Fall der brutal ermordeten Jungen ist. In zahlreichen Episoden erfahren wir von den furchtbaren Erfahrungen, die Victoria mit ihrem pädophilen Vater machen musste, aber auch von Sofias Erlebnissen im afrikanischen Sierra Leone. Die übrigen kurzen Kapitel sind nach den verschiedenen Orten im beschaulichen Stockholm benannt, an denen sie spielen. Doch die beiden Autoren holen ihre Leser immer wieder heraus aus der Wohlfühlecke: Kinder als Pädophilen-Spielzeuge oder als Soldaten im Krieg, Rechtfertigungs-Rituale von Missbrauchs-Tätern, zerstörte Seelen, die die erlernten fatalen Verhaltensmuster als Erwachsene selbst wieder reproduzieren oder die dunklen Teile ihrer Persönlichkeit gleich ganz abspalten. Das Autorenduo sagt selbst, dass es durch ihre Story auf diese Zustände und deren Folgen aufmerksam machen will. Das ist zum Teil sehr schockierend gelungen, auch wenn man manchmal selbst erschreckt feststellen muss, wie wenig berührt man durch die distanzierte Darstellung doch eigentlich zurückbleibt. Ein aufwühlender und engagierter Krimi, der nichts für schwache Nerven ist und von dem Schauspieler Thomas M. Meinhardt sehr authentisch und immer mit der richtigen Nuancierung gelesen wird.
Erik Axl Sund ist das Pseudonym des schwedischen Autorenduos Jerker Eriksson und Håkan Axlander Sundquist. Håkan ist Tontechniker, Musiker und Künstler. Jerker ist der Producer von Håkans Elektropunkband “iloveyoubaby!” und arbeitet zurzeit als Bibliothekar in einem Gefängnis. Zusammen haben sie drei Romane geschrieben, die Victoria-Bergman-Trilogie, für die sie 2012 mit dem Special Award der schwedischen Krimiakademie ausgezeichnet wurden.
Der Schauspieler Thomas M. Meinhardt ist gleichermaßen aus Fernseh- und Hörbuchproduktionen bekannt. Er hat bereits in mehreren TV-Serien wie beispielsweise “Tatort”, “SOKO 5113” oder “Polizeiruf 110” mitgewirkt. Er spielte an zahlreichen, renommierten Bühnen – vornehmlich am Münchner Metropoltheater in Erfolgsstücken wie “Tannöd” und “Unter dem Milchwald”. Für den Hörverlag las er u. a. “Jimi Hendrix – Starting at Zero”, “Helmut Schmidt – Ein letzter Besuch”, einen Teil aus „Die Schuld einer Mutter“ von Paula Daly und Elisabeth Herrmann “Versunkene Gräber”.