Paul Lynch: Das Lied des Propheten
DAS LIED DES PROPHETEN von Paul Lynch ist eine gelungene Mahnung und eindringliche Warnung vor einem totalitären System.
Erst wird ihr Mann Larry von der neu geschaffenen Geheimpolizei zum Verhör abgeholt, dann verschwinden die ersten Nachbarn. Doch Eilish Stack, Wissenschaftlerin und Mutter von vier Kindern, will die Zeichen nicht richtig wahrnehmen. Irland, ihre Heimat – ein autoritärer Polizeistaat? Das kann und darf nicht sein. Auch als Demonstrationen brutal aufgelöst werden, kritische Geister das Land verlassen und ihrem 17-jährigen Sohn der Reisepass verweigert wird, damit er sich nicht dem Militärdienst entzieht, glaubt sie noch an Recht und Ordnung. Und überhaupt: Wie könnte sie abhauen, wenn sich niemand mehr um ihren dementen Vater kümmern und die ganze Familie auseinandergerissen würde? Doch die Repressionen verschlimmern sich immer weiter. Und während Eilish noch nachdenkt über Gehen oder Bleiben, versinkt Irland vollends im autoritären Chaos…
Das Lied des Propheten
Paul Lynch zeichnet in seinem außergewöhnlichen Roman “Das Lied des Propheten” eine beklemmende Dystopie vom Aufstieg eines totalitären Systems inmitten eines demokratischen Staates. Dabei bedient er sich aller Mechanismen, die für solche Entwicklungen bekannt sind. Aus Sicht der Wissenschaftlerin Elish, die einfach nur ihre Familie zusammenhalten will, zeigt er, wie der Prozess Zug um Zug alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens erreicht. Vieles erinnert dabei an reale Ereignisse aus der Vergangenheit und Gegenwart. In seiner prosaischen Sprache lässt er uns über die Ursachen und Hintergründe der Entwicklung im Vagen und bewahrt sich so eine gewisse Distanz zu den Ereignissen.
Das unterstreicht er auch durch seinen Schreibstil: In knappen Halbsätzen und ohne Dialogkennzeichnungen wechselt die Szenerie ohne Atempause. So wirken seine Schilderungen bedrückend-beklemmend und sind manchmal nur schwer zu ertragen – gerade in Zeiten erstarkender rechtspopulistischer und totalitärer Strömungen in vielen Teilen der Welt, einschließlich unseres eigenen Landes. “Das Lied des Propheten” von Paul Lynch ist eine gelungene Mahnung und eindringliche Warnung vor der Spirale der Gewalt, der Ausgrenzung und des totalitären Chaos’. Zu Recht erhielt Lynch hierfür 2023 den Booker Prize.
Der Autor
Paul Lynch, geb. 1977 in Limerick, wuchs in Donegal auf und lebt in Dublin. Von 2007 bis 2011 war er Chef-Filmkritiker der irischen Zeitung »Sunday Tribune« und schrieb regelmäßig für die »Sunday Times«. Seitdem ist er hauptberuflich Autor. Seine Werke wurden mit zahlreichen Preisen in Irland und UK ausgezeichnet. Für seinen aktuellen Roman »Das Lied des Propheten« erhielt er den Booker Prize 2023.
Der Übersetzer
Eike Schönfeld, geb. 1949, übersetzt seit über 30 Jahren englischsprachige Literatur, darunter von Joan Didion, Jeffrey Eugenides und Jonathan Franzen. Er wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Preis der Leipziger Buchmesse. Er lebt in Paris.