lesende Gartenzwerge
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Sonntag, 20. Januar 2013

©Klett-Cotta Verlag
682 Seiten
Oktober 2012
ISBN: 978-3608939859
Original: Capital

John Lanchester: Kapital

KAPITAL von John Lanchesters ist ein sehr eindrucksvolllen Roman, der die tiefgreifenden Umwälzungen der Finanzkrise großartig auf die individuellen Biographien seiner Protagonisten herunterbricht. Unbedingt lesen!

Die Häuser in der Pepys Road im Süden Londons haben schon ein gutes Jahrhundert auf dem Buckel. Um 1900 wurden sie erbaut, als die Backsteinsteuer wegfiel. Und lange Zeit waren sie Wohnorte des soliden Mittelstands, bis sich durch die Finanzblase ihr Wert verfielfachte. Nun ist die über 80jährige Petunia Howe die Einzige, die in der Straße geboren wurde und dort noch immer lebt. Die Younts hingegen sind typische Neureiche; Roger arbeitet bei einer Privatbank und hofft auf den fetten 1 Million-Pfund-Bonus, während seine Frau Arabella lieber mit Freundin Saskia shoppen geht, statt sich um die nervigen kleinen Söhne zu kümmern - wofür gibt’s denn Kindermädchen. Familie Kamal ist über ihrem kleinen Kiosk zusammengerückt. Während der aus Lahore stammende Ahmed hinter dem Tresen steht, pflegen seine beiden jüngeren Brüder ihre islamischen Wertvorstellungen. Shahid war sogar schon als Jugendlicher in Tschetschenien, um seine moslemischen Brüder zu unterstützen, hatte dort aber schnell gemerkt, dass ihm das Londoner Leben deutlich besser gefällt. Quentina Mkfesi aus Zimbabwe wiederum zieht als Politesse den Ärger der Anwohner auf sich, denn niemand ist vor ihren Strafzetteln sicher. Dabei ahnen ihre Opfer nicht, dass sie als abgewiesene Asylbewerberin selbst eine Illegale ist und unter falschen Namen arbeitet. So haben alle Straßenbewohne in der Pepys Road ihre eigenen Sorgen, bis eines Tages diese merkwürdigen Postkarten mit der Aufschrift “Wir wollen, was Ihr habt!” auftauchen. Kündigt hier ein geldgieriger Immobilienhai, eine gesetzlose Hausbesetzerbande oder gar ein Einbruchskombinat sein Erscheinen an? Wer auch immer hinter den Drohungen steckt, sie werden immer deutlicher.

John Lanchester wirft in seinem Roman “Kapital” einen ganz wunderbaren Blick auf eine dieser unzähligen, gemütlichen kleinen Reihenhausstraßen Londons - eine jener Straßen also, bei denen man sich immer fragt, wer dort wohl wohnt und was deren Mauern schon alles gesehen haben. Anhand der ewigen Ein- und Auszüge, der Renovierungen und Umbauten in der Pepys Road (die es übrigens wirklich gibt, irgendwo im Häusermeer wischen Greenwich und Brixton) zeichnet er den Wandel der größten westeuropäischen Metropole seit Anfang des 20. Jahrhunderts nach. Zum Ausgangspunkt seiner Geschichte wählt Lanchester jedoch das folgenschwere Jahr 2008, in dem weltweit die Finanzblase der Immobilienbanken platzte und mit ihr auch viele kleine private Träume vom großen Geld. Und fast unausweichlich beschäftigt er sich auch mit dem Thema des islamischen Terrorismus - nur zu gut haben die Londoner noch die blutigen U-Bahn-Anschläge, ihr “7-7” des Jahres 2005 in Erinnerung. Wobei Lanchester mit dem Thema jedoch sehr menschlich umgeht und hinter dem vermeintlichen Terroristen einen Jugendlichen entdeckt, der auf der Suche nach sich selbst auch falsche Freunde findet. Daneben streift er alle möglichen anderen Aspekte der Stadt, wie den englischen Profifußball oder die Situation der zahlreichen osteuropäischen Handwerker, verwebt die Geschichten seiner Protagonisten auf unaufdringlich-intelligente Art und verteilt seine Sympathien gerecht zwischen allen - jede seiner Figuren erhält eine zweite Chance, um etwas anderes aus dem Leben zu machen. Dies alles macht John Lanchesters “Kapital” zu einem sehr eindrucksvolllen Roman, der die tiefgreifenden Umwälzungen der Finanzkrise großartig auf die individuellen Biographien seiner Protagonisten herunterbricht. Unbedingt lesen!

John Lanchester, geboren 1962 in Hamburg, wuchs im Fernen Osten auf und studierte in Oxford. Er war Restaurantkritiker des "Observer" und ist stellvertretender Chefredakteur der "London Review of Books".

Rezension von Silke Schröder

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